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S3-Leitlinie: Zahnimplantate bei Diabetes mellitus

Über diese Leitlinie

Untersuchungen der Wissenschaftler vom Versorgungsatlas im Jahr 2017 belegen, dass jedes Jahr in Deutschland rund 500 000 Menschen zum ersten Mal die Diagnose Diabetes mellitus Typ 2 erhalten. Entsprechend wächst auch die Häufigkeit der Erkrankung: Die Prävalenz für Diabetes mellitus insgesamt ist von 8,9 Prozent im Jahr 2009 auf 9,8 Prozent in 2015 gestiegen. Dies geht vor allem auf einen Anstieg des Diabetes mellitus Typ 2 von 8,5 Prozent auf 9,5 Prozent zurück.

Gleichzeit ist die Versorgung mit Zahnimplantaten heute ein Standard-Verfahren der dentalen Rehabilitation und findet in der Bevölkerung eine breite Anwendung. Darum ist es nicht überraschend, dass auch immer mehr Diabetiker eine dentale Rehabilitation mit Implantaten wünschen. Diabetes mellitus galt jedoch lange Zeit als eine relative Kontraindikation für eine Implantattherapie.

Der Grund: Ergebnisse bezüglich Komplikationen und Langzeiterfolg waren und sind oft nicht eindeutig. Darum soll diese Leitlinie behandelnden (Zahn-)ärztinnen und (Zahn-)ärzten eine Hilfestellung durch evidenzbasierte Empfehlungen bei der Indikationsstellung geben. So soll eine nachhaltige lebenslange kaufunktionelle Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus gewährleistet werden.

Das Ziel der Leitlinie ist eine Entscheidungshilfe zur kaufunktionellen Rehabilitation für oder gegen Zahnimplantate bei Patienten mit Diabetes mellitus. Der Behandler soll in der Lage sein

  • das Risiko der Behandlung einzuschätzen,
  • über Komplikationen aufzuklären
  • und geeignete Maßnahmen zu treffen.

Patientinnen und Patienten soll eine nachhaltige und sichere Versorgung empfohlen werden. Auch soll der aktuelle Kenntnisstand zum Thema Zahnimplantate bei Diabetes mellitus den Patienten zugänglich gemacht werden.

Autor der Leitlinie

PD Dr. Dr. Hendrik Naujokat

Koordination der Leitlinie

Prof. Dr. Dr. Jörg Wiltfang

Klinik für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel

Co-Autoren und weitere Beteiligten Gesellschaften finden Sie im Volltext

S3-Leitlinie: Zahnimplantate bei Diabetes mellitus

Implantatgetragener Zahnersatz ist als wissenschaftlich anerkannte Therapie in der modernen Zahnmedizin fest etabliert. In Deutschland setzen Zahnärztinnen und Zahnärzte schätzungsweise 1,3 Millionen dieser künstlichen Zahnwurzeln pro Jahr – Tendenz steigend. Dabei müssen jedoch auch Risikofaktoren und Erkrankungen der Patientinnen und Patienten berücksichtigt werden. Eine davon ist Diabetes mel- litus. Die Zuckerkrankheit gehörte lange Zeit zu den Kontraindikationen einer Implantatbehandlung.

Dies änderte sich mit der ersten S3-Leitlinie der DGI „Implantate bei Patienten mit Diabetes mellitus“, die im Jahr 2016 veröffentlicht wurde. Seitdem gilt eine Implantatbehandlung auch bei Menschen mit Diabetes als sicheres und vorhersag- bares Verfahren.

Leitlinien: Bestand hat nur der Wandel. Leitlinien werden nicht für die Ewigkeit for- muliert, sondern in regelmäßigen Abständen überprüft und aktualisiert, denn neue wissenschaftliche Erkenntnisse können Empfehlungen und Positionen der Fachleute verändern.

Dies ist nun auch bei der Leitlinie zum Thema Implantate bei Diabetes mellitus geschehen. Sie wurde im Rahmen der 5. Leitlinien-Konferenz der DGI im September 2021 nach dem Regelwerk der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaft- lich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) überprüft, aktualisiert, neu kon- sentiert und zwischen den Fachgesellschaften abgestimmt. Federführender Autor der Leitlinie ist PD Dr. Dr. Hendrik Naujokat von der Klinik für MKG-Chirurgie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel.

Die wichtigste Botschaft der Leitlinie: „Die dentale Rehabilitation mit Zahnimplan- taten bei Menschen mit intermediär erhöhten Blutzuckerwerten und Diabetes mellitus ist bei korrekter Indikationsstellung und einem risikoorientierten Vorgehen ein sicheres und vorhersagbares Verfahren.“

Drei neue Empfehlungen. Allerdings betonen die Fachleute auch, dass Diabetes mellitus als ein potentieller Risikoindikator eingestuft werden muss. Deshalb müsse dies in der Patientenführung, bei der Therapieentscheidung sowie bei der Nachsorge berücksichtigt werden. Diesem Aspekt tragen drei neue Empfehlungen in der aktualisierten Leitlinie Rechnung.

  • Zahnärztinnen und Zahnärzte sollen bereits bei der Anamnese vor Beginn der Behandlung die Menschen fragen, ob erhöhte Blutzuckerwerte oder ein Diabetes vorliegt. (Bestätigt wurde erneut die Empfehlung, bei Menschen mit Diabetes auch nach der Einstellung der Blutzuckerwerte zu fragen.)
  • Bei Menschen mit Diabetes sollen Zahnärztinnen und Zahnärzte den Gesundheitszustand des Zahnfleisches (Parodontalstatus) untersuchen und bei einer Erkrankung des Parodonts eine leitliniengerechte Therapie einleiten.
  • Bei der Nachsorge sollen Zahnärztinnen und Zahnärzte sich bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes über den HbA1c-Wert informieren. Dieser spiegelt den durch- schnittlichen Blutzuckerwert bei Diabetes in den zurückliegenden acht bis zwölf Wochen wider und gibt darüber Auskunft, ob ein Diabetes gut eingestellt und unter Kontrolle ist. Den Zielkorridor der Einstellung beschreibt die Nationale Versorgungsleitlinie „Therapie des Typ-2-Diabetes“.

Drei neue Statements. Auf Basis neuer wissenschaftlicher Studien und umfangreicher Literaturanalysen konnten die Fachleute auch drei neue Statements formulieren:

  • Intermediär erhöhte Blutzuckerwerte scheinen keinen Einfluss auf das Implantatüberleben zu haben.
  • Aufgrund heterogener Studienergebnisse ist unklar, ob die Güte der Blutzuckereinstellung einen unmittelbaren Einfluss auf den Erfolg einer Implantattherapie hat.
  • Unklar ist ebenfalls weiterhin, ob die Dauer einer Diabetes-Erkrankung einen Einfluss auf die Implantattherapie hat.

Aus den Statements lässt sich auch der Forschungsbedarf ableiten: „Welchen Einfluss die Dauer der Erkrankung und die Güte der Blutzuckereinstellung auf den Erfolg einer Implantatbehandlung hat, muss weiter untersucht werden“, betont PD Dr. Dr. Naujokat. Ebenso halten es die Fachleute für nötig, den Einfluss von Diabetes mellitus auf den Erfolg umfangreicher Augmentationen zu analysieren, etwa bei Transplantationen von Beckenknochen und vertikalen Augmentationen. Nicht zuletzt sollten auch materialtechni- sche Einflussfaktoren der Implantate und der prothetischen Verbindungsteile untersucht werden.

Veränderungen bei Empfehlungen und Statements: Kritische Indikationsstellung. Vier Statements und fünf Empfehlungen aus der ersten Leitlinie wurden geprüft und modifiziert. So gibt es beispielsweise Hinweise, dass bei Menschen, deren Diabetes schlecht eingestellt ist, die Implantate etwas langsamer einheilen als bei Patienten, deren Erkrankung unter Kontrolle ist. Darum sollte – so eine weitere modifizierte Empfehlung – die Indikation für eine Sofort- und Frühbelastung eines Implantats kritisch gestellt werden. Dr. Naujokat: „Nach einem Jahr gibt es indes keine Unterschiede mehr zwischen Diabetes-Patienten und gesunden Implantatträgern.“

Das Risiko Periimplantitis scheint mit der Zeit anzusteigen. Nach wie vor ist auch unklar, ob Menschen mit Diabetes ein höheres Risiko für eine Periimplantitis haben. „Die Datenlage ist heterogen und damit unklar“, sagt Dr. Naujokat. Eine Studie deutet auf ein erhöhtes Risiko für Periimplantitis bei schlecht eingestellten Diabetes-Patienten hin, bei der aber der Vergleich mit Gesunden fehlt. Eine andere Studie, die allerdings nur ein Jahr nach der Implantation abdeckt, kann dies nicht bestätigen. Eine prospektive Studie liefert ebenfalls Anhaltspunkte für ein erhöhtes Risiko bei schlecht eingestellten Patientinnen und Patienten. Aus der Zusammensicht leiten die Fachleute ab, dass das Risiko für periimplantä- re Entzündungen im Laufe der Zeit anzusteigen scheint. Darum haben sie eine bestehende Empfehlung modifiziert: Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus sollen vor Beginn der Behandlung über ihr erhöhtes Risiko für periimplantäre Entzündungen aufgeklärt wer- den.